Heftige Differenzen im Rat: Wangens Gemeindepräsidentin erzählt im Interview von den Schattenseiten der Dorfpolitik

«Damals war ich zutiefst verletzt»: Daria Hof musste sich nach happigen Anschuldigungen eines Ratsmitglieds das Vertrauen ihrer Gemeinde zurückerkämpfen. Eine Geschichte von Resilienz, Überzeugung und Treue. Gegenüber dem Dorf, aber auch sich selbst.

Für Daria Hof ist das letzte Jahr als Gemeindepräsidentin angelaufen.
Für Daria Hof ist das letzte Jahr als Gemeindepräsidentin angelaufen.Bild: Patrick Lüthy

Sie tun es freiwillig und erhalten wenig Lohn: Kommunalpolitiker opfern für das gemeine Wohl viel Zeit und ernten schnell saure Äpfel. Trotzdem sind sie nicht immer eine eingeschworene Seilschaft. Dorfpolitik kann enorm hart sein. Das erlebte Wangens Gemeindepräsidentin Daria Hof.

Als frisch gewählte Gemeindepräsidentin sah sie sich mit eklatanten Anschuldigungen und happigen Auseinandersetzungen konfrontiert. «Nur dank viel Disziplin und privatem Rückhalt gelang es mir, mich wieder zu fassen», sagt Hof im grossen Interview. 2025 wird für sie Schluss sein.

Sie sind Lehrerin. Wie viele Ihrer Schulkinder würden sich eignen, in die Politik einzusteigen?

Daria Hof: Das kann man so nicht sagen. Im Alter zwischen 15 und 17 liegen die Interessen ganz woanders. Politisches Denken und Verständnis für Geschichte kommt erst später im Leben. Auch bei mir.

Was hat Sie dazu bewogen, politisch aktiv zu werden?

Eigentlich liess ich mich überreden. Klar war ich stets offen dafür, für die Allgemeinheit etwas zu tun. Aber lange reichte mir die Arbeit in der Schule und das Engagement im Tennisclub aus.

Bis wann?

Bis dann eben die FDP anklopfte und fast ein bisschen um mich buhlte. Mir wurde gesagt, die Parteiverantwortlichen hätten alle potenziellen neuen Mitglieder und Amtsträger zu einem Infoanlass eingeladen. Ich bin eine sehr gesellige Person. Also ging ich hin. Einmal angekommen, musste ich dann feststellen, dass ich die einzige Eingeladene war. So kam ich in die Kulturkommission, wurde Gemeinderätin und stellte mich schliesslich zur Wahl als Gemeindepräsidentin.

Zur Person

Daria Hof – Gemeindepräsidentin, Wangen bei Olten

Daria Hof – Gemeindepräsidentin, Wangen bei Olten

Als gebürtige Wangnerin setzt sich die 47-Jährige seit mehr als dreissig Jahren im Dorf ein. Von Tennis über Kultur bis Politik. Sie ist begeisterte Mathelehrerin und nahm als Gemeinderätin an einer wortwörtlichen Feuerwehrübung Teil, um ihren Job besser zu verstehen. Seither ist sie dort Stammgast. Die zweifache Mutter geniesst warme und auch kalte Abende an der eigenen Feuerschale im Beisein ihrer Familie und Freunde. 2025 legt sie ihr Amt nach zwei Legislaturen ab. «Es ist Zeit für frischen Wind», sagt sie.

Kommunalpolitik bewegt nicht gerade die Massen. Laut einer Studie des Zentrums für Demokratie Aarau nehmen nur rund 9 Prozent der Stimmberechtigten an Gemeindeversammlungen teil.

Das hiesse ja, dass ich rund 350 Leute an meinen Gemeindeversammlungen haben sollte. Das wäre schön, meine Erfahrung zeigt, dass die Beteiligung meist näher an 1 Prozent der Stimmberechtigten liegt.

Warum machen nicht mehr Menschen am politischen Diskurs im Dorf mit?

Entweder denken die Leute, es laufe ja sowieso gut, und kommen deshalb nicht. Wenn es nicht läuft, kommen sie dann sowieso.

«Eigentlich liess ich mich damals überreden.» Daria Hof darüber, wie die FDP sie für ihre erste Position in der Kulturkommission gewann.
«Eigentlich liess ich mich damals überreden.» Daria Hof darüber, wie die FDP sie für ihre erste Position in der Kulturkommission gewann.Bild: Patrick Lüthy

Korreliert also eine tiefe Beteiligung an Gemeindeversammlungen mit einer hohen Zufriedenheit mit dem Gemeinderat?

Nicht zwingend. Vielleicht würde ich es Gleichgültigkeit nennen. Oder Bequemlichkeit. Gerade in meiner Anfangszeit gingen mir kritische Stimmen aus der Bevölkerung sehr nahe. Kritische Stimmen von Menschen, die ich nie an einer Gemeindeversammlung sah. Es bringt nichts, wenn man sich immer beklagt, aber nichts verändert. Ich möchte alle dazu einladen, an der politischen Arbeit im Dorf teilzunehmen.

Sie wollten es allen recht machen?

Nein. Aber in meiner ersten Legislatur war ich zu anständig. Wählte meine Worte mit äusserster Sorgfalt, um ja niemanden zu verletzen. Und wenn ich dann höre, was mir alles an den Kopf geworfen wird, muss ich mir auch nicht alles gefallen lassen.

Im Vorfeld der Gemeindepräsidiumswahlen posierte Daria Hof 2017 mit der Ortstafel.
Im Vorfeld der Gemeindepräsidiumswahlen posierte Daria Hof 2017 mit der Ortstafel.Bild: Bruno Kissling

In dieser ersten Legislatur wurden Sie von SVP-Gemeinderat Christian Riesen mit schwersten Vorwürfen konfrontiert. Unter anderem nannte er Sie führungsschwach. Wie sind Sie damit umgegangen?

Es hat sehr viel Kraft gekostet, zurückzukommen. Ich hinterfragte plötzlich alle meine Entscheidungen. Dank vieler Gespräche mit Ratsmitgliedern und Familie konnte ich mich aufs Sachliche konzentrieren und wurde von ihnen in meinem Handeln bestärkt. Mit ebendieser einen Ausnahme stand der Rat geschlossen hinter mir.

Hatten diese Anschuldigungen Fleisch am Knochen?

Der Rest des Rates wie auch ein Anwalt, den ich beigezogen habe, kamen zum Schluss, dass diese Vorwürfe völlig haltlos seien. Ich interpretiere es als einen Versuch, mich aus dem Amt zu drängen.

Bereits im Vorfeld der Wahl versuchte ein Parteikollege von Riesen, mich in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Ich als Frau und dann erst noch als Lehrerin würde niemals taugen für so ein Amt. Dann habe ich in der Gemeindepräsidiumswahl trotzdem gegen Herrn Riesen gewonnen. Das muss ihm sauer aufgestossen sein.

Die Politikerin Daria Hof ist stärker zurückgekommen. Ratskolleginnen und -kollegen lobten Sie für Ihre Art und Arbeit. Aber wie geht es Daria Hof als Mensch?

Damals war ich zutiefst verletzt. Ich bin ein Mensch, der die Fehler immer zuerst bei sich selbst sucht. Nur dank viel Disziplin und privatem Rückhalt gelang es mir, mich wieder zu fassen. Das Ganze ist nicht spurlos an mir vorbeigegangen.

Inwiefern?

Es nimmt nicht überhand, aber seither bereite ich mich dieses kleine Stück akribischer auf Treffen vor. Lasse den Tag am Abend einmal mehr Revue passieren. Und ich habe gelernt, mir eine dickere Haut wachsen zu lassen.

«Das Ganze ist nicht spurlos an mir vorbeigegangen.» Trotzdem konnte sich Daria Hof im Zuge der Anschuldigungen von 2018 behaupten.
«Das Ganze ist nicht spurlos an mir vorbeigegangen.» Trotzdem konnte sich Daria Hof im Zuge der Anschuldigungen von 2018 behaupten.Bild: Patrick Lüthy

Und dennoch haben Sie weitergemacht?

Ja, dank meiner Tennisvergangenheit kann ich auf eine grosse mentale Stärke zurückgreifen. Das und die offene Kommunikation seitens der Gemeinde haben mich bestärkt. Als mir an der darauffolgenden Gemeindeversammlung eine Standing Ovation gewidmet wurde, wusste ich, dass ich die Leute hinter mir habe.

Und Ihre Beziehung zu Herrn Riesen? Sie sitzen ja immer noch zusammen im Gemeinderat.

Eine schwierige Frage. Ich würde sagen, dass wir uns mittlerweile gefunden haben. Es wurde nie ausgesprochen, aber ich glaube, wir haben gemeinsam eine Übereinkunft getroffen. Wir lassen einander arbeiten, arbeiten auch zielgerichtet an gleichen Projekten. Das Vertrauensverhältnis wurde damals arg gestört, aber ich gebe mir Mühe, konstruktiv zu sein.

Beruht das auf Gegenseitigkeit?

Ich denke, ja. Als bekannt wurde, dass ich nicht erneut kandidieren werde, rief er mich an und wollte wissen, warum ich schon aufhöre. Wir seien doch mittlerweile ein gutes Team in puncto Dorfentwicklung. Das hat mich gefreut.

Ihre Nachfolge soll Arbeitgeberbeiträge an die Pensionskasse erhalten, sagt Daria Hof.
Ihre Nachfolge soll Arbeitgeberbeiträge an die Pensionskasse erhalten, sagt Daria Hof.Bild: Patrick Lüthy

Angenommen, Sie könnten das Rad der Zeit zurückdrehen: Würden Sie sich nochmals zur Wahl stellen?

Hätte ich vor acht Jahren gewusst, was ich alles erleben werde und aushalten muss, dann Nein. Aber ich habe viele interessante Menschen kennengelernt, konnte Anlässe besuchen, welche ich sonst nie besucht hätte, und habe sehr viel gelernt. Das spricht wiederum für die Sache. Unter dem Strich bin ich ein positiver Mensch und halte mich an den positiven Dingen im Leben fest.

Sie mussten in Ihrer Zeit als Gemeindepräsidentin viel einstecken, wurde Ihnen auch Danke gesagt?

Besonders jetzt, da ich aufhöre, kommen die Menschen zu mir. Bedauern meinen Abgang. Eine Frau sagte mir, sie könne sich niemanden anderen vorstellen für meine Nachfolge. Das sehe ich als Zeichen von Dankbarkeit und Wertschätzung. Diese Wertschätzung möchte ich meiner Nachfolge auch in monetärer Form entgegengebracht wissen.

Was meinen Sie damit?

Zuerst: Das Pensum als Gemeindepräsidentin ist stark angestiegen. Gemäss meiner Zeiterfassung arbeite ich 45 bis 50 Prozent. Das sind 25 Prozent mehr, als mir mein Vorgänger damals prophezeit hatte. Und es wird nicht weniger Aufwand auf das künftige Präsidium zukommen.

Und darum setzen Sie sich für Ihre Nachfolge ein?

Diese Person wird zugunsten der Gemeinde ihren Job hintanstellen und dabei – Stand heute – auf Pensionskassenbeiträge ihres Arbeitgebers verzichten. Angesichts dessen, was man sich alles bieten lassen muss, finde ich das unfair. Vor meinem Rücktritt will ich die Pensionskassen-Beiträge für meine Nachfolge gesichert wissen.


Hinterlasse einen Kommentar

Emil Rohrbach