Wie in der Aarauer Schachenbadi Quecksilber entdeckt wurde

Ein normaler Kanalisationsanschluss hätte es werden sollen. Routinearbeit für alle Beteiligten. Bis eine Bodenprobe den Alltag der Involvierten veränderte. Die Geschichte des Ringens um Sicherheit in der Schachenbadi.

Da kommen Flaschen zum Vorschein. Mit der einen hat Grossmutter damals wohl die Suppe gewürzt. In anderen wurden eher chemische Stoffe aufbewahrt. Die Bauarbeiter graben weiter. Aus der Baggerschaufel prasselt die Erde auf die Liegewiese der Aarauer Schachenbadi. Eine Sandschicht trennt das belastete Material von der Liegewiese.

In groben Zügen wissen sie, was da im Boden unter ihnen zum Vorschein kommen sollte. Wie bei jedem Bauvorhaben auf belastetem Boden wurden vorgängig Bodenproben genommen und die verschiedenen Bodenschichten werden nach ihrem Belastungsgrad getrennt.

Emanuel Kuster und Regina Wenk in der Schachenbadi. Sie setzen sich für die Sicherheit der Badegäste ein.
Emanuel Kuster und Regina Wenk in der Schachenbadi. Sie setzen sich für die Sicherheit der Badegäste ein.Bild: Emil Rohrbach

Die Baggerschaufel schüttet neues Material auf einen Haufen. Auf den Triagehaufen 108. Regina Wenk, die Leiterin des Werkhofs Aarau, ist gerade vor Ort, als die Bauarbeiter das auffällig schwarze Material entdecken.

Im Gespräch erinnert sie sich an den Tag Anfang November 2024, als im Schachen zum ersten Mal Material zum Vorschein kam, das stärker belastet war, als es die Klassifizierung im Kataster der belasteten Standorte vermuten liess. Später sollte sich herausstellen, dass der Boden Blei, Cadmium und Quecksilber enthält.

Unerwartet fanden sich schwarze Brocken im Aushub in der Schachenbadi.
Unerwartet fanden sich schwarze Brocken im Aushub in der Schachenbadi.Bild: Emil Rohrbach

Wenk und die Bauarbeiterinnen und Bauarbeiter sehen grobe schwarze Brocken im Aushub, Eternitplatten und Scherben, die wohl mal zu einem Reagenzglas gehört haben. Aber auch Lederfetzen und gar ein altes Maggiglas wurde dem Boden entnommen. Sie graben weiter. «Damals wussten wir es ja noch nicht», sagt sie heute. Niemand konnte ahnen, wie belastet der Boden tatsächlich war. Also grub man.

Ein Eternitdachziegel auf dem Triagehaufen 114.
Ein Eternitdachziegel auf dem Triagehaufen 114.Bild: Emil Rohrbach

Das Zehnfache der erlaubten Menge an Quecksilber

12. November 2024: Emmanuel Kuster nimmt eine Mischprobe aus dem Triagehaufen 108. Sie geht noch am selben Tag ins Labor. So eine Mischprobe besteht aus 20 Einzelproben, die Kuster aus einem bestimmten Haufen Aushub entnimmt. Für ihn ist das Routinearbeit. Als Altlastenbaubegleiter ist es sein Job, im Auftrag seiner Firma Baustellen auf belastetem Grund zu betreuen. Jede Mischprobe protokolliert er und hält die Daten fest.

Emmanuel Kuster (Terre AG), Altlastenbegleiter im Schwimmbad Schachen.
Emmanuel Kuster (Terre AG), Altlastenbegleiter im Schwimmbad Schachen.Bild: Emil Rohrbach

Am 15. November kommt das Resultat aus dem Labor: 49 Milligramm Quecksilber auf ein Kilo Mischprobe. Jetzt ist es nicht mehr Alltag. «Die kantonalen Behörden müssen nun ins Boot geholt werden», denkt sich Kuster da.

Sachlich liest sich die Stelle in seinem Schreiben an die Bauleitung und den Werkhof, in dem der Triagehaufen 108 erwähnt wird: «Hier wird der Grenzwert für Quecksilber gleich um das Zehnfache überschritten. Es handelt sich um Typ-S-Material (Sonderabfall). Die Triage ist nun besonders wichtig, aus mehreren Gründen.»

Der erste Grund ist die Menge. 49 mg Quecksilber sind fast zehnmal so viel, wie auf einer Deponie Typ E, der höchsten Deponiestufe, die es in der Schweiz gibt, zugelassen ist. Und die im TH 108 entdeckte Menge an Quecksilber entspricht sogar dem 25-Fachen dessen, was auf einer Fläche wie in der Badi zulässig ist. Jedoch nur, wenn die Belastung in den oberen fünf Zentimetern des Erdreichs vorkommt. Darunter stellt sie keine Gefahr für Badegäste dar.

Der zweite Grund ist das Vermischungsverbot. Abfälle dürfen nicht mit anderen Abfällen vermischt werden, «wenn dies in erster Linie dazu dient, den Schadstoffgehalt der Abfälle durch Verdünnen herabzusetzen» – so steht es in der Abfallverordnung.

Der dritte die Arbeitssicherheit. Auf einer Baustelle mit derart belastetem Material können Deponiegase austreten. Darum tragen alle Bauarbeitenden ein Gas-Warngerät auf sich, wenn sie sich in der Nähe des Grabens aufhalten.

Oberstes Gebot: Sicherheit der Badegäste

Am 22. November schneit es, als Emmanuel Kuster mit dem Zug nach Aarau fährt, um mit der Stadt das weitere Vorgehen zu besprechen. Beim Treffen setzt sich Regina Wenk stark für die Sicherheit der Badegäste ein, wie Kuster erzählt. Auf ihr Geheiss hin wird der gesamte Oberboden im Schwimmbad stichprobenartig in zwei Schritten untersucht.

Der Oberboden, eben die oberen fünf Zentimeter, könnte die Badegäste tangieren. Zum Beispiel das Kind, welches ein Loch gräbt, oder eine Raucherin, die den Einsteckaschenbecher aus dem Boden zieht.

Bis alle Resultate vorliegen, dauert es. Zweieinhalb lange Wochen für Regina Wenk. «Das war nicht einfach», sagt sie heute. Eine fristgerechte und vor allem sichere Eröffnung des Bads am 1. Mai ist ihr grösstes Anliegen. Die Proben des Oberbodens erweisen sich als unbedenklich für Badegäste.

Regina Wenk: «Wir mussten die Resultate akzeptieren und anschliessend für unsere Mitarbeitenden und Badegäste schauen.»
Regina Wenk: «Wir mussten die Resultate akzeptieren und anschliessend für unsere Mitarbeitenden und Badegäste schauen.»Bild: Emil Rohrbach

Belastetes Material muss ins Ausland gebracht werden

Die Grabarbeiten schreiten im Schachen nun langsamer voran. Noch sorgfältiger müssen die Arbeitenden die unterschiedlichen Erdschichten trennen und sortieren. Das meiste Material entspricht nach wie vor dem erwarteten. Es kann auf nahe gelegene Entsorgungseinrichtungen wie in Péry-La Heutte bei Biel gebracht werden, wo es beispielsweise zu Betonklinker verarbeitet wird.

Immer wieder bringt der Bagger aber Material zutage, das so stark belastet ist, dass es in der Schweiz gar nicht entsorgt werden kann. Es wird ins St. Gallische gebracht und dort in speziellen Verfahren gewaschen und sortiert, bevor das am stärksten belastete Material ins Ausland in eine Untertagedeponie gebracht wird.

Von aussen sieht man dem Aushub die Belastung nicht an. Vorne Material, das in einer Deponie vom Typ E gelagert werden kann. Der hintere Haufen birgt Sonderabfall.
Von aussen sieht man dem Aushub die Belastung nicht an. Vorne Material, das in einer Deponie vom Typ E gelagert werden kann. Der hintere Haufen birgt Sonderabfall.Bild: Emil Rohrbach

Die Badi ist sicher – Eröffnung im Mai

Emmanuel Kuster ist es wichtig zu betonen, dass ein belasteter Boden in der Tiefe, wie man ihn beim Aushub angetroffen hat, keine Gefahr für Menschen birgt, die darauf gehen oder liegen. Die Stoffe sind nicht mobil. «Gemäss aktuellem Kenntnisstand sind weder die Luft noch das Grundwasser oder Fliessgewässer kontaminiert», sagt er.

Entsprechende Messungen wurden bereits gemacht und werden auch weiterhin getätigt, um ein vollständiges Bild des Untergrunds im Schachen zu erstellen. Auch aufgrund der hohen Werte im Triagehaufen 108.

Ob es je zu grösseren Altlastensanierungsarbeiten im Schachen kommen wird, können weder Wenk noch Kuster sagen. «Als Fachmann nehme ich die Sache ernst, messe und analysiere gewissenhaft. Wie auf jeder anderen Baustelle auch», sagt er.

Sein Bericht zu den Funden im Schachen wird an die kantonalen Behörden gehen. Dort wird entschieden, ob die Abfälle, die unter dem Schwimmbad vor Jahren verscharrt wurden, jemals abgeführt werden müssen.

Stand heute geht die Badi am 1. Mai wie geplant auf und man badet in Aarau ebenso sicher wie in Schönenwerd auch.

Auf den 1. Mai soll das Schwimmbad seine Tore öffnen können.
Auf den 1. Mai soll das Schwimmbad seine Tore öffnen können.Bild: Emil Rohrbach

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Emil Rohrbach